Wenn Pfiffe nicht ausreichen Mein Einsatz bei der EuroDeaf 2015

Anna-Kristin Mielke | Hannover | 20. und 22.06.2015

Anna Mielke am 22.06.2015Im Juni dieses Jahres richtet der Deutsche Gehörlosen-Sportverband zum zweiten Mal in seiner Historie (nach 1995 in Berlin) die Fußball-EM der Gehörlosen aus. Im Anschluss an die Eröffnungsfeier am Sonntag, den 14. Juni, im Erika-Fisch-Stadion in Hannover spielen die qualifizierten Herren- und Frauenmannschaften Europas im Laufe von zwei Wochen die jeweiligen Europameister aus. Mit im Einsatz und verantwortlich für die Spielleitungen sind bei diesem Wettbewerb auch niedersächsische Fußballschiedsrichterinnen und -schiedsrichter der Liste des Norddeutschen Fußball-Verbandes.

Gehoerlosen EM(2)Bereits auf der DFB-Halbzeittagung im Januar sprach mich Wolfgang Mierswa auf diese europäische Endrunde an, worauf ich ihm meine Bereitschaft, bei diesem Turnier als Schiedsrichterin mitzuwirken, selbstverständlich sofort zusicherte. Es ergab sich somit, dass die Spiele der Frauenmannschaften in Hannover-List von reinen Schiedsrichterinnengespannen geleitet werden konnten – inklusive der 4. Offiziellen.

Am 2. Spieltag (20. Juni) des Turniers hatte ich bei der Partie Polen gegen Großbritannien meinen ersten Einsatz als 4. Offizielle und im Anschluss bei dem Spiel Deutschland gegen Russland mein Debüt als Schiedsrichterassistentin.

Gehoerlosen EM(3)Am 3. Spieltag (22. Juni) kam ich zunächst wieder als 4. Offizielle (Russland – Polen) und dann als Schiedsrichterin in der Partie zwischen Großbritannien und dem Gastgeberland Deutschland zum Einsatz. (Auffällig ist, dass sich die einzelnen Mannschaften in den Spielpartien wiederholen, da das kleine Teilnehmerfeld nur 4 Mannschaften umfasst.)

Im Vorfeld der Spielleitungen galt es zunächst, sich mit dem Regelwerk und den internationalen Bestimmungen und Anweisungen auseinanderzusetzen. So besprachen wir das Vorgehen der Kontrolle der Spielerinnen durch die 4. Offizielle (einen Online-Spielbericht gibt es nicht, dafür aber eine Spielberechtigungsliste mit Passbildern und einzelne Akkreditierungsausweise) sowie insbesondere die Zusammenarbeit innerhalb des Gespannes auf dem Platz. Neben dem bestehenden Regelwerk, dem wie im normalen Spielalltag Geltung verschafft wird, musste im Umgang mit den gehörlosen Spielerinnen beachtet werden, dass zur Unterstreichung jedes Pfiffes die Fahne sowohl der beiden Assistentinnen als auch die Fahne, die die Schiedsrichterin bei sich trägt, gehoben werden müssen (was ich bei meinem ersten Foulpfiff als SR`in zunächst prompt vergaß). Entsprechend war es zunächst sehr ungewohnt, einen Pfiff auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes mit einem Wedeln auf der eigenen Position an der Seitenlinie zu begleiten. Ebenso sollten die Fahnenzeichen bei Ausbällen auch auf der Verlängerung der Seitenlinie hinter der Mittellinie gegeben werden, um den Spielerinnen Orientierung zu geben, eine schnellere Spielfortsetzung zu ermöglichen und Eindeutigkeit zu schaffen. Als Schiedsrichterin fiel allen von uns auf, wie viel Kommunikation auf dem Platz eigentlich verbal getätigt wird, wie viel wir präventiv eingreifen, kommentieren und regeln. All diese Eingriffe und Klarstellungen („weiterspielen“, „Ball gespielt“, „der Ball war doch vorher schon im Aus“ , „Hände weg, ich seh` das!“ etc.) waren plötzlich unwirksam geworden. Stattdessen galt es, Mimik und Gestik noch gehäufter einzusetzen – dies allerdings mit der Pfeife in der einen und der Fahne in der anderen Hand. Da noch Kapazitäten zu finden, um die Gestik für den gespielten Ball (ihr wisst alle, welche ich meine) zu zeigen, erfordert schon eine recht fortgeschrittene Koordination. Diese war ebenfalls als 4. Offizielle (erst mein zweiter Einsatz in dieser Funktion in meiner Laufbahn) gefragt. Während es in der ersten Halbzeit in den Coachingzonen jeweils noch recht ruhig zuging, kamen in der zweiten Hälfte in der Regel mehr Aufgaben hinzu. Es mussten die Trainerinnen und Trainer, Betreuerinnen und Betreuer auf Deutsch, Englisch oder mit Händen und Füßen darauf hingewiesen werden, dass sie Blick und Weg der SRA 1 doch bitte nicht verstellten, ihre behandelte Spielerin nicht ohne Anmeldung wieder auf den Platz schickten oder sie sie doch zur Eisspray-Behandlung bitte vom Platz nehmen würden. Darüber hinaus wurde es kompliziert, wenn sich Auswechselungen ankündigten (ein- und auszuwechselnde Spielerinnen wurden der 4. Offiziellen auf einem kleinen Zettel gereicht): Die Anzeigetafel war kein ganz neues Modell, wie man es aus dem TV kennt, sondern erforderte es, dass man die Ziffern jeweils auf der Vorder- und Rückseite einzeln aus Neonbausteinen zusammensetzen musste. Durch diese diversen von der 4. Offiziellen übernommenen Tätigkeiten konnte das Schiedsrichtergespann auf dem Platz – mehr durch die ungewohnte Zeichengebung als durch Unsportlichkeiten gefordert – entlastet werden; zudem gab es eine Person mehr, die die Augen in diesen sportlich engagierten, aber fair geführten Partien offen halten und im Anschluss Feedback geben konnte.


Insgesamt war der Einsatz bei dieser EM der Gehörlosen für mich eine besondere und tolle Erfahrung – angefangen bei dem Sensibilität erfordernden Verhalten als Schiedsrichterin und endend bei der Begeisterung für den Fußball der Spielerinnen und Fans, die uns allen gemein ist. Geklatscht wird auf Gebärdensprache übrigens, indem man die Arme über den Kopf streckt und mit den Händen winkt und routiert.

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